Die 104 TelefonSeelsorge-Stellen in Deutschland bereiten sich organisatorisch auf das „andere“ Weihnachten dieses Pandemie-Jahres vor. Die Dienste müssen über die Feiertage gut besetzt sein, Chat-Angebote werden aufgestockt. Die Fürsorge richtet sich aber auch auf die Mitarbeitenden selbst, denn auch sie sind in Bezug auf Weihnachten Betroffene. Ihre Leistung würdigt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in einem Grußwort.
„Gerade in diesem Jahr hat sich gezeigt, wie wichtig das Angebot der Telefonseelsorge ist“, schreibt die Ministerin. Bei rund einem Viertel der Anrufe gehe es um das Thema Corona, oft in Verbindung mit Angst, Einsamkeit und depressiver Stimmung. „Da kommt es auf die Erfahrung und Kompetenz der Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger an. Die Telefonseelsorge in Deutschland ist unverzichtbar“, so Ministerin Giffey weiter. In den Dienststellen freut man sich über die Wertschätzung aus Berlin für das verstärkte ehrenamtliche Engagement in Krisenzeiten.
„Weihnachten ist für die TelefonSeelsorge wie auch für andere Organisationen die Zeit des Jahresendspurts und damit auch der Zuwendung und Anerkennung für unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Dieses Jahr sind wir durch Corona in einer besonderen Situation“, erklärt Petra Schimmel, Leiterin der TelefonSeelsorge Hamm und Vorstandsmitglied der Evangelisch-Katholischen Kommission (EKK), des Leitungsgremiums der TelefonSeelsorge. Zunächst müsse mehr denn je sichergestellt sein, dass möglichst viele Anfragen, ob per Telefon oder Chat, auch ankommen. Die Kommunikationskanäle sollen möglichst vielen zur Verfügung stehen.
Manches wird dieses Jahr anders sein
Die TelefonSeelsorge verfügt grundsätzlich über ausreichende Erfahrung mit Einsätzen an den Feiertagen. Die Notrufnummer ist rund um die Uhr besetzt – an allen Tagen des Jahres. Dennoch wird dieses Jahr manches anders sein, vermuten die Verantwortlichen.
„Wir erleben besonders beim Chatten eine deutlich erhöhte Anfrage-Rate. Während des Lockdowns im März und April hatten wir mehr als doppelt so viele Chats wie in den Vergleichsmonaten 2019 und auch im Oktober und November stiegen hier die Zahlen wieder. Im Vorjahr waren es durchschnittlich 53 Chats. In der letzten Woche lagen wir bei fast 100. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir gerade hier über Weihnachten gut aufgestellt sein müssen“, so Petra Schimmel.
„Unter den Themen, die unsere Ratsuchenden benennen, nimmt die Einsamkeit großen Raum ein“, ergänzt Peter Annweiler, Leiter der TelefonSeelsorge Pfalz in Kaiserslautern. „Die Frage, was an Weihnachten möglich sein wird oder eben nicht, treibt viele um. Die Angst vor einer Infektion ist gerade bei den Älteren groß, nicht weniger groß ist die Angst, Weihnachten allein verbringen zu müssen.“ Mit rund 25 Prozent benennt Peter Annweiler den Anteil des Themas an den Gesprächen. „Aber auch Ängste und Probleme in Beziehungen und zwischenmenschlichen Kontakten werden häufiger als sonst angesprochen“, fügt er hinzu.
Mitarbeitende sind selbst betroffen
Es sei damit zu rechnen, dass diese Themen auch an den Weihnachtstagen eine große Rolle spielen werden. Zugleich seien von der Pandemie und ihren Auswirkungen die Beraterinnen und Berater am Telefon selbst betroffen. „Wir wissen von einer ganzen Reihe Ehrenamtlicher, dass sie dieses Jahr allein sein oder nur im engsten Kreis Weihnachten feiern werden“, bestätigt Petra Schimmel. „Berührend finde ich es, dass dadurch bei vielen die Bereitschaft wächst, über Weihnachten zusätzliche Dienste zu übernehmen. Wer sich an den Feiertagen mit seiner Traurigkeit, Einsamkeit und Verlorenheit an uns wendet, findet mit Sicherheit enormes Verständnis und die Vergewisserung: ich bin zwar an den Festtagen allein, aber ich habe viele Leidensgefährten, die wie ich versuchen, das Beste daraus zu machen.“
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Rosa Schneider (Name geändert) arbeitet seit über 20 Jahren ehrenamtlich für die TelefonSeelsorge. Sie macht Dienste am Telefon und sie chattet. Das Interview wurde telefonisch geführt.
Frau Schneider, Sie haben viel Erfahrung mit den Ratsuchenden der TelefonSeelsorge. Macht Corona einen Unterschied?
Ja, das finde ich schon. In der Regel nehmen Menschen mit uns Kontakt auf, die sich in einer persönlichen Krise befinden. Diese Krise ist nicht die Krise der Beraterin am Telefon, ihre Aufgabe ist es, den Ratsuchenden einen anderen Blick auf die eigene Situation zu ermöglichen, sodass sie etwas Abstand gewinnen und dadurch eigene Lösungsansätze entwickeln können. Idealerweise bekommen sie dadurch Kontakt zu ihren Ressourcen, ihren individuellen Fähigkeiten, eine Krise zu bewältigen. Von Corona aber sind wir zurzeit alle irgendwie betroffen und das macht sich in den Gesprächen bemerkbar.
Und ändert das etwas an der Art, wie die Gespräche verlaufen?
Sie werden in gewisser Weise persönlicher; die Ratsuchenden und ich selbst bekommen das Gefühl, dass wir „im gleichen Boot“ sitzen. Diese gemeinsame Erfahrung erleichtert den Beziehungsaufbau, der immer stattfinden muss, wenn ein Beratungsgespräch erfolgreich sein soll. Das heißt jetzt nicht, dass von meiner Seite die notwendige professionelle Distanz verloren geht; trotzdem nehme ich eine schneller entstehende Vertrautheit mit den Anrufenden wahr, die ich durchaus als positiv erlebe.
Wie wirkt sich Corona auf das bevorstehende Weihnachtsfest aus? Sicher gibt es auch hier diese beidseitige Betroffenheit?
Am Telefon auf jeden Fall, im Chat, wo ich überwiegend mit Jüngeren spreche, weniger. Und klar, in Bezug auf die Frage, wie feiern wir Weihnachten, sind die Menschen bei TelefonSeelsorge nicht weniger betroffen als unsere Anrufenden. Auch bei uns gibt es ganz viele, die Weihnachten anders feiern müssen als gewohnt, manche werden es auch allein verbringen. Ich bin da auch ganz persönlich betroffen, meine Kinder leben in Süddeutschland und wir haben entschieden, dass wir nicht zueinander reisen werden. Von daher werde ich an den Weihnachtstagen verstärkt Chat-Zeiten anbieten. Denn auch wenn Weihnachten in den Chats noch kein vorherrschendes Thema ist: an den Tagen selbst, davon gehe ich aus, wird es auch hier viel Gesprächsbedarf geben. Das Schöne daran ist: indem ich Anderen ein Angebot mache, helfe ich gleichzeitig mir selbst, gut durch dieses „andere“ Weihnachten zu kommen. Das ist ein Ausgleich zwischen Geben und Nehmen, der für mich zu jedem TelefonSeelsorge-Gespräch dazu gehört– nicht nur an Weihnachten.
Haben Sie einen Wunsch für dieses Weihnachtsfest in der Pandemie?
Was ich uns allen wünsche: dass wir zur Ruhe kommen und die Situation annehmen können und dass daraus bei allem Schweren auch ein Gefühl der Geborgenheit entsteht – Weihnachten eben.